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Texte

Die Geschichte könnte damit beginnen, dass Mortimer vom Himmel fällt. Ein Fallschirmspringer, der im Zentrum des Renaissancegartens landet. Dieser Renaissancegarten ist geometrisch gestaltet, sechs von Hecken gesäumte Trapeze umgeben ein kreisförmiges Zentrum. Radius: nicht mehr als fünf Meter. In diesem Zentrum landet Mortimer.

Steht Miss Molly am Fenster? Zweifellos wäre das eine schöne Szene. Für einen Film, den ein Fellini hätte drehen können. Miss Molly steht am Fenster, sie hat den weißen Vorhang ein wenig beiseite geschoben. Und sieht Mortimer, einen soeben mit dem Fallschirm gelandeten, amerikanischen Soldaten.

Das heißt: Sie sieht ihn noch nicht – er ist ja vorerst vom Fallschirm bedeckt. Oben Miss Molly, die den Vorhang ein wenig beiseite gezogen hat, unten Mortimer, der unter der Fallschirmseide hervor muss. Das soll möglichst rasch gehen, aber es ist nicht so einfach. Verwicklungen kommen vor, bei aller Routine.

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Außenseiter aus Passion

Der aufrecht stehende Mensch

Ausgerechnet hier: Auf einem der schönsten Plätze der Stadt ... Bis noch vor kurzer Zeit ein Ort heiter gelassenen Flanierens. Ein Ort an dem man bei einem Glas kühlem Weißwein sitzen und dem netten, menschlichen Treiben zusehen konnte. Wir haben gern hier Pause gemacht auf unserer Fahrt nach Süden oder auf der Fahrt zurück nach Norden, ein Abend in dieser Stadt, den man auf diesem Platz ausklingen lassen konnte, war eine erfreuliche Perspektive.

Wir hätten uns nicht ausgerechnet hierher setzen sollen, von einem anderen Tisch vor einem der anderen Lokale hätten wir den Typ mit dem Hund vielleicht gar nicht bemerkt. Zumindest hätten ihn weniger beachtet. Allerdings haben die meisten Lokale auf der Piazza schon zu. Früh schlafen gehen, zeitig aufstehen, arbeiten, sparen – anscheinend hat der neue Puritanismus nun auch dieses Land erfasst.

Die Aggression, die in der Luft liegt, in dieser unbehaglichen, ja geradezu unheimlichen Leere. Fast niemand zu sehen, außer eben dem Typ, der, ob uns das nun passt oder nicht, unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein aufrecht stehender, von oben bis unten in schwarzes Leder mit allerlei Metallbeschlägen gekleideter Mensch. Zu seinen Füßen ein Hund mit schwarzem, metallbeschlagenem Lederhalsband.

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Eine sehr kleine Frau

Sie war eine sehr kleine Frau - in den Kaufhäusern Gerngroß und Herzmansky, zu deren treuesten Kundinnen sie zählte, paßten ihr oft Kleider aus der Kinderabteilung. Als sie mit über achtzig nach einem Oberschenkelhalsbruch nicht mehr recht auf die Beine kam und vorübergehend in einem Pflegeheim untergebracht war, das wir uns auf die Dauer nicht leisten konnten, scheint sie sich tatsächlich wieder wie ein Kind gefühlt zu haben. Habt ihr mir meine Puppe mitgebracht? fragte sie - Katrin' und ich, die sie anscheinend für ihre Eltern hielt, schüttelten etwas beklommen die Köpfe. Sie aber nickte und sank zurück, hockte in der Ecke und sah drein wie das kleine Mädchen auf der Fotografie, die sie mir manchmal gezeigt hatte, ein kartonstarkes Bild von jenem matten Braunton, der die gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgenommenen Fotos so schön macht.

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Die schwangere Madonna

Ein grüner VW-Golf, nicht sehr gepflegt, nur unzureichend beseitigte Spuren von Vogeldreck auf dem Dach. Einige Kratzer an der linken Seite. Am Rückspiegel, der einen Sprung hatte, hingen Wassertröpfchen. Aber - tatsächlich! - der Schlüssel steckte im Türschloß.

Ich schaute mich um. In diesem Moment war der Schulparkplatz so gut wie leer. Ich griff nach dem Schlüssel, ich öffnete die Tür und stieg ein. Ich steckte den Schlüssel ins Zündschloß, ich rückte den Fahrersitz in die für mich passende Position. Ein paar Sekunden beobachtete ich noch fasziniert die Scheibenwischer, die sich hin und her bewegten wie ein Metronom.

Ich schaltete das Blinklicht ein, ich löste die Handbremse. Ich betätigte die Kupplung, drehte den Zündschlüssel vollends nach rechts, suchte den Rückwärtsgang. Auf dem Rücksitz lag, etwas unordentlich hingeworfen, wie mir schien, ein schwarzer Mantel. Trotz schlechter Sicht durch die etwas verschmierte Heckscheibe gelang mir das Ausparkmanöver.

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Vom Baronkarl; Peripheriegschichten

Einmal ist ein besserer Herr zum Baronkarl gekommen, der hat schon viel vom Baronkarl gehört gehabt. Wo ist dieser kuriose Mensch, hat er sich erkundigt, der in einer Mülltonne lebt - ich möcht ihn was fragen. Da haben sie ihn zum Baronkarl hingeführt, und der ist gerade aufgekrabbelt, es war zeitig in der Früh. Und der Baronkarl ist dagestanden in seiner Gattehosen und hat sein Gewand ausgebeutelt.

Und der bessere Herr hat die Nase gerümpft und den Baronkarl angeschaut durch seine Brille. Und hat sich geräuspert, damit ihn der Baronkarl überhaupt beachtet. Baronkarl, hat dann der bessere Herr gesagt, aus seinem sauberen Anzug heraus, wie bringen Sie das zusammen? Allerweil in diesem Schmutz leben, Jahr und Tag, wie irgendein Ungeziefer?

SehnS, hat da der Baronkarl geantwortet, ich beutel meinen Dreck ja jeden Tag in der Früh ab. Mein Dreck, hat der Baronkarl geantwortet, ist außen um mich herum, mit dem kenn ich mich aus. Und mein Verhältnis zu Flöhen und Wanzen ist klar. Die leben von mir, aber ich nicht von ihnen.

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Pepi Prohaska Prophet

en face: Herr Prohaska, Sie und Ihre Anhänger haben dieses alte Fabriksgebäude hier am Fuße des Wienerbergs besetzt. Warum?

Prohaska: Wir wollen ein anderes Leben führen als das den meisten Menschen in unserer Zeit zugemutete. Darum.

en face: Was für ein Leben?

Prohaska: Ein unmittelbareres. Ein ehrlicheres. Ein einfacheres. Ein vergnüglicheres. Man könnte auch sagen: ein gottgefälligeres.

en face: Darauf werden wir noch zurückkommen, aber vorerst zu den Fakten. Sie und Ihre Jünger ...

Prohaska: Sagen Sie lieber: ich und meine Freunde ...

en face: Seit wann hausen Sie hier?

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Steins Paranoia

Er war, so sah er sich selbst, ein zurückhaltender Mensch. Selten kam es vor, daß er sich in der Öffentlichkeit in ein Gespräch mischte. Manchmal dachte er daran, sich einzumischen, weil ihm auf dies oder das etwas Interessantes, Amüsantes oder gar Provokantes einfiel. Aber er brauchte seine Zeit, bis er solche Gedanken aussprechen wollte, konnte, und wenn diese Zeit verstrichen war, fand er meistens, der richtige Zeitpunkt sei nun ohnehin schon vorbei. Außerdem scheute er (Stein) auch nur ansatzweise aggressive Berührungen. Wenn er sich vorstellte, daß er den Betrunkenen, der womöglich auf ihn eingedrungen wäre, von sich hätte abwehren müssen ... Obwohl das vermutlich nicht schwer gewesen wäre, denn der Mann war - zumindest in Steins Erinnerung - wenigstens sechzig und wacklig auf den Beinen. Es war aber Marion dabei gewesen, und vor allem um ihretwillen hatte Stein, redete er sich ein, die Auseinandersetzung mit dem Betrunkenen vermieden.

Mit dem Betrunkenen.Falls dieser Mann überhaupt betrunken gewesen war. Falls Steins Erinnerung diesem Mann (und dem Satz, den er gesagt hatte) die Trunkenheit nicht erst im Nachhinein hinzufügte. Als verharmlosendes Akzidenz, als mildernden Umstand (für den Mann und für sich). Vielleicht hatte der nicht gewußt, was er gesagt hatte, vielleicht mußte man es daher, wenn man es gehört hatte, gar nicht so ernst nehmen, vielleicht war alles halb so schlimm.

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Hamlet, Hiob, Heine

DORT WO ich wohnen möchte
wohne ich nicht

Dort wo ich liegen könnte
ohne zu lügen

Bei dir sein
hieße bei mir sein
und durchs geöffnete Fenster
klänge Lebendiges /

Hier ist es ratsam
das Fenster am Abend zu schließen

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Vom Wunsch Indianer zu werden. Wie Franz Kafka ...

Er würde sehr schmal an der Reling stehen und kotzen. Der ältere Herr und die Dame würden sich ihm von achtern nahern. Der Wind würde wehen, die Wellen wurden wogen, die Möwen wurden lachen. Eine Sirene stieße einen klagenden Ton in den Abend.

Auf dem Vorschiff. Die beiden Herrschaften kämen aus dem inneren Zwischendeckbereich. Der Herr hätte der Dame durchaus zeigen wollen, wie er 1864 oder '65 gereist wäre. Wie er damals gereist wäre, wenn, wenn nicht ... Wenn ihn nicht gewisse Umstände daran gehindert hätten.

Sehr anders als heute wäre er damals gereist. Zwar sei die Unterbringung der Auswanderer, auf diese Feststellung hätte ein sogenannter Zwischendeckinspektor Wert gelegt, ohnehin schon viel besser, als, sagen wir, noch vor fünfzehn Jahren. Ganz zu schweigen von 1864 oder '65. Aber über den Zwischendecktransfer seien nach wie vor die schlimmsten Schauermärchen in Umlauf. Bitte, beachten Sie etwa die hygienischen Verhältnisse! Es mag sein, daß auch heute ein großer Teil der hier untergebrachten Passagiere in einem Bade eher eine ärztliche Verordnung erblickt, der man nicht entrinnen kann, als ein sozusagen zivilisiertes Bedürfnis. Aber die Zeiten, zu denen man die Auswanderer einfach mit dem Schlauch abgespritzt hat, sind vorbei. Wie Sie sehen, sind Wasch- und Badeeinrichtungen in, ich würde meinen, ausreichendem Ausmaß vorhanden. Auch, überzeugen Sie sich, Toilettenanlagen. Laut Gesetz vom 9. Juni 1897 müssen sie in einem Ausmaß zur Verfügung stehen, daß nicht mehr als fünfzig männliche beziehungsweise weibliche Personen sich im Gebrauch eines Abtritts arrangieren. Die Decken- und Kissenbezüge werden selbstverständlich nach jeder Reise desinfiziert. Sehen Sie, um das Geld, um das die Leute hier unten transportiert werden wollen, kann man natürlich keinen Luxuskomfort erwarten.

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Kommt eh der Komet

Sie ist ja, sagt Scheck, nicht von sich aus so, seine Peppi. Sondern durch ihre Eltern. Sie ist halt ein typisches Produkt von Anlage & Umwelt. Ihre Eltern aber leiden beide unter dementia securitatis, zu deutsch Sicherheitsblödsinn. Sieben Sicherheitsschlösser, drei Sicherheitsriegel, jede Menge Versicherungspolizzen.

Weil man nämlich nicht weiß, was alles kommt. Aber man kann sich denken, was kommen könnte. Glasbruch, um nur ein einfaches Beispiel zu nennen. Glück & Glas, wie leicht bricht das - aber von Glück will Scheck in diesem Zusammenhang gar nicht reden.

Sondern von simplem Glasbruch. Etwas Gläsernes zerbricht. Da ist es gut, wenn eine Versicherung den Schaden ersetzt. Aber so einfach ist das nicht. Es gibt subtile Unterschiede zwischen Zerbrechen und Zerbrechen. Zum Beispiel, wenn Wind im Spiel war. Oder wenn ein Kind im Spiel war. Oder wenn ein Hund im Spiel war.

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Morrisons Versteck

Ich habe Jim Morrison, sagte er, nie leiden können.

Diese provokant langweilige Stimme, dieses unverschämt leere Gesicht, dieser lächerlich laszive Körper!

Diese mißglückte Nachgeburt Elvis Presleys!

Wie der zum Idol werden konnte, ist mir ein Rätsel!

Wenn ich ihn damals, so zwischen '68 und '70, kaum hab ich am Morgen das Radio aufgedreht, gleich habe hören müssen, war mir der ganze Tag vermiest.

Noch unerträglicher als Morrisons Organ war mir nur die Instrumentalbegleitung der DOORS.

Ray Manzareks ödes Orgelgedudel, John Densmores phantasieloses Schlagzeuggehämmer, zu Robby Kriegers Gitarrengewürge fällt mir nicht einmal ein Adjektiv ein ...

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Schwarzer Peter

Sie werden lachen, aber ich komme aus Wien. Auch wenn ich möglicherweise nicht ganz so aussehe. Vienna. Austria. Europe. Ob Sie es glauben oder nicht. Ich bin dort geboren und habe meine ersten dreißig Jahre dort verbracht.

An der schönen, blauen Donau? Das weniger. Also erstens ist die Donau gar nicht blau. Und zweitens fließt sie ja eher an Wien vorbei. Den Donauwalzer werden Sie von mir also nicht zu hören bekommen. Seien Sie mir nicht böse, aber das ist nicht meine Musik.

Was wirklich durch Wien fließt, ist der Donaukanal. Der kleinere, ordinärere Bruder der Donau. Er nimmt seinen Weg von der Nußdorfer Schleuse, wo er sehr bewußt aus der Donau entlassen wird, bis zum sogenannten Praterspitz, wo er, schon fast vergessen, in sie zurückkehrt. Über diesen Donaukanal würde kein Mensch einen Walzer schreiben.

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Black Peter's Songbook

Was Black Peter zur einleitenden Klarstellung seiner Herkunft äußern könnte

1

My pretty mama was a streetcar conductor
yeah my pretty mama was a streetcar conductor
My unknown father was a soldier when he fucked her

It happened far away and long ago
yeah it happened far away and long ago
in an old European town you might not know

Then he was gone beyond the big Atlantic Sea
yes he was gone beyond the big Atlantic Sea
Don't know if he knew that she gave birth to me

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Die kleine Figur meines Vaters

Ich hatte die Kriegsbilder meines Vaters schon als Kind zahllose Male betrachtet. Zwar war ich überhaupt umgeben von Bildern aufgewachsen, aber unter all diesen Bildern spielten die Kriegsbilder eine besondere Rolle. Betrachtete ich als Kind die Kriegsbilder meines Vaters, so mußte ich aufpassen, daß ich nicht in sie hineingeriet. War ich einmal in den Kriegsbildern meines Vaters drin, so kam ich nur schwer wieder aus ihnen heraus.

Wohl waren sie, wie meine Mutter immer wieder betonte, wenn sie mich über ihnen ertappte, NICHTS FÜR KINDER, aber meine Neugier, gekoppelt mit Papas Fotografenstolz, entkräftete diesen Einwand. Besonders in den großen, schweren, mit KRIEG RUSSLAND beschrifteten Alben blätterte ich noch lieber als im WILHELM BUSCH. Bist du da wirklich dabeigewesen, fragte ich dann oft, auf dieses oder jenes Bild zeigend, meinen Vater. Und der nickte und antwortete: Ja, da ist dein Papa überall dabeigewesen.

Ähnlich wie mit den Kriegsbildern meines Vaters verhielt es sich mit den dazugehörigen Geschichten. Auch diese Geschichten hatte ich als Kind schon zahllose Male gehört. Zu seinem Geburtstag, zu Weihnachten, zu Silvester, zu sämtlichen Anlässen, bei denen Besuch da war, kramte mein Vater diese Geschichten wieder aus. Vor allem um dieser Geschichten willen hatte ich mich auf seinen Geburtstag, auf Weihnachten, auf Silvester etc. gefreut.

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